US-Weltraumpionier John Glenn (2024)

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Am 20. Februar 1962 um 9.47 Uhr stand Amerika still: An Schulen fiel der Unterricht aus, Geschäfte waren wie leergefegt. Präsident Kennedy soll an diesem historischen Morgen bereits seit 7.15 Uhr vor dem Fernseher gesessen und auf den großen Moment gewartet haben. In Manhattans Grand Central Terminal standen Tausende dicht gedrängt in der großen Bahnhofshalle, versuchten einen Blick auf die kleinen TV-Bildschirme vor Ort zu erhaschen und lauschten gebannt dem Countdown, der aus den Boxen schepperte. Dann endlich verkündete eine Stimme: "Oberstleutnant Glenn ist soeben mit seiner Rakete in die Erdumlaufbahn gestartet. Bitte, beten Sie für ihn."

Die Durchsage galt einem Mann, der in den nächsten Stunden 200 Kilometer über der Erde den Globus umkreiste, um die Ehre der westlichen Welt zu retten: dem Astronauten John Herschel Glenn. Eingepackt in einen silber glänzenden Raumanzug saß er in einer kleinen kegelförmigen Kapsel. Umringt von Instrumententafeln voller Schalter, Knöpfe und Anzeigen bestaunte der 40-Jährige durch ein kleines Fenster seinen Heimatplaneten. "Oh, der Ausblick ist gewaltig", sagte Glenn über Funk und freute sich über das "brillante Blau" des Horizonts über der Karibik.

Dabei war der hochgewachsene Mann mit den grünen Augen nicht der erste, der den Globus umkreiste: Die Sowjetunion hatte bereits Monate vorher, am 12. April 1961, Juri Gagarin als ersten Menschen erfolgreich in den Weltraum geschossen. Glenns Popularität tat das keinen Abbruch: Er war der Mann, der im Wettstreit mit den Sowjets ausgeglichen hatte. Und er war ein echter Bilderbuchamerikaner.

Glenn war ein überzeugter Patriot, der sich in zwei Kriegen als Kampfpilot bei 150 Einsätzen hervorgetan hatte - und ein frommer Christ, der mit seiner hübschen Frau Anna und den beiden Kindern John David und Carolyn Ann im beschaulichen Städtchen Arlington in Ohio lebte. Gegen 508 Konkurrenten hatte er sich für seinen Einsatz in der "Mercury"-Mission durchgesetzt. Er hatte in Dunkelräumen und Hitzekammern, in Eisbädern, Zentrifugen und Rüttelmaschinen ausgeharrt. Er war athletisch, zielstrebig und furchtlos. Glenn war der perfekte Held.

Seine starken Nerven brauchte Glenn als Astronaut bei der Nasa vom ersten Tag an: Eine Testrakete nach der anderen sah er während der drei Vorbereitungsjahre in Cape Canaveral zerbersten, viele der Modelle waren dafür entwickelt worden, seine Kapsel in den Weltraum zu befördern. Als endlich eine Rakete als ausgereift galt, ging das Zittern trotzdem weiter: Zehnmal musste der Start wegen technischer Probleme oder schlechten Wetters abgeblasen werden. Aber Kampfpilot Glenn, der sich im Pazifik- und Korea-Krieg an Lebensgefahr am Arbeitsplatz gewöhnt hatte, ließ sich nicht beunruhigen. Er hatte Erfahrung mit Komplikationen. Erfahrungen, die ihm während seines Raumflugs das Leben retten sollten.

"Junge, was für ein Feuerball!"

Glenn hatte in der engen Kapsel, die er auf den Namen "Friendship 7" getauft hatte, zunächst eine ruhige Reise ins All, wie die "New York Times" am nächsten Tag detailgenau schilderte: Er aß Tubennahrung und Milchtabletten, während er den Ausblick genoss. Als er die zu seinen Ehren hell erleuchtete Stadt Perth im Westen Australiens erblickte, funkte er entzückt: "Danke an alle fürs Lichtmachen."

Doch nachdem die "Friendship 7" drei Runden um die Erde gedreht hatte und zum Landeanflug überging, blinkte plötzlich eine Warnleuchte auf. Der Keramikschild, der die Kapsel beim Eintauchen in die Erdatmosphäre vor dem Verglühen bewahren sollte, schien sich zu lösen - eigentlich ein Todesurteil für den Astronauten. Glenn fragte per Funk nach: "Wie ist das passiert? Könnt ihr schon sagen, wie das passiert ist?" Die Antwort war knapp: "Zurzeit nicht."

Die Techniker der Nasa lösten das Problem von der Erde aus - mit einer waghalsigen Improvisation: Per Fernsteuerung ließen sie die ausgebrannten Bremsraketen, die eigentlich abgeworfen werden sollten, an der Kapsel haften, um den Hitzeschild zu stabilisieren. Vor dem Fenster in Glenns Kapsel fetzten wenig später beim Eintritt in die Erdatmosphäre die rot glühenden Metallreste der Bremsraketen vorbei. Es hatte funktioniert. Glenn war euphorisch: "Junge, was für ein Feuerball!"

Sicher beendet war die Mission damit trotzdem noch nicht: Kurz vor der Landung geriet die "Friendship 7" plötzlich ins Schlingern. Zwei der Lenktriebwerke hatten keinen Treibstoff mehr und fielen schließlich aus. Glenn, der sich bislang ganz auf den Autopiloten verlassen hatte, meldete "geringfügige Schwierigkeiten" und griff selbst an den Lenkknüppel. "Steuere jetzt per Hand", funkte er zu den Nasa-Experten auf der Erde.

Nach vier Stunden, 55 Minuten und 23 Sekunden landete die "Friendship 7" wohlbehalten in der Karibik. Den Ruhm, der folgte, genoss Glenn in vollen Zügen: Zwei Wochen später feierte Amerika seinen neuen Helden bei einer großen Parade durch New York. Im Konfettiregen begrüßten ihn Präsident John F. Kennedy und mit ihm Zehntausende Amerikaner.

Karriereknick wegen Heldenstatus

Kennedy baute eine öffentlichkeitswirksame Freundschaft zu seinem Starastronauten auf, lud ihn und seine Frau Anna regelmäßig ins Weiße Haus oder auf seinen Landsitz nach Hyannis Port ein. "Er gehört zu jenen Amerikanern, auf die wir besonders stolz sein können", sagte Kennedy nach der geglückten Mission über seinen Weltraumheroen. Endlich hatte der Westen im Wettlauf ins All wieder aufgeschlossen.

Doch Glenns Erfolg sollte ihn letztlich seine Karriere bei der Nasa kosten: Weil Kennedy seinen ersten Mann im Orbit nicht auf einem zweiten Trip ins All verlieren wollte, wies der Präsident die Nasa hinter Glenns Rücken an, den Astronauten auf keine weitere Weltraumreise zu schicken. In Kennedys Augen war der Volksheld zu wichtig für Amerika, um das Risiko einzugehen, ihn auf einer waghalsigen Mission zu verlieren.

Glenn hingegen wollte am liebsten direkt nach dem Flug erneut ins All. Alle ein bis zwei Monate habe er bei Nasa-Projektleiter Bob Gilruth um einen zweiten Einsatz gebettelt, sagte er später. Vergeblich, die Antwort sei stets die gleiche gewesen: "Nicht jetzt. Das Hauptquartier will noch nicht, dass du das wieder machst." Von Kennedys geheimer Weisung an die Nasa erfuhr Glenn jedoch erst Jahre später, lange nach der Ermordung des Präsidenten.

36 Jahre bis zum zweiten Flug

Fast drei Jahre lang hielt er die Ungewissheit aus, ließ sich immer wieder vertrösten. Erst als Glenn klar wurde, dass die Mission "Mondlandung" ohne ihn geplant wurde, resignierte er, quittierte frustriert den Militärdienst und verließ die Nasa. Statt im Weltall machte er nun als Geschäftsführer einer Getränkefirma und Politiker Karriere. Ein Vierteljahrhundert saß er für Ohio im Senat, bewarb sich 1984 sogar als US-Präsident für die Demokratische Partei. Seine Sehnsucht nach dem All verlor er jedoch nie. Noch heute schmerzt es den mittlerweile 90-Jährigen, dass sich sein größter Wunsch nie erfüllt hat: "Ich bedauere, dass ich nie bei einer der Mondlandungen dabei war." Immerhin: Ins All sollte der Ex-Astronaut trotzdem noch einmal geschossen werden - 36 Jahre nach seinem ersten Trip in den Weltraum.

Dafür ließ der damals mehr als 70 Jahre alte Senator in den neunziger Jahren seine Beziehungen spielen: Beharrlich redete er auf Nasa-Chef Daniel Goldin ein, ihn als ältesten Menschen der Geschichte in den Weltraum zu schicken. Für seinen Traum ging der zweifache Großvater Glenn jeden Tag zwei Kilometer laufen, stemmte Gewichte und verzichtete auf Schokolade - bis die Raumfahrtstrategen schließlich einwilligten: Im Herbst 1998 durfte der mittlerweile 77-Jährige mit der Raumfähre "Discovery" ein zweites Mal ins All. Der Auftrag klang dabei eher wie ein Alibi: An ihm sollte während der Mission "STS-95" der Einfluss der Schwerelosigkeit auf ältere Menschen untersucht werden.

Neun Tage lang raste der ergraute Glenn mit 28.000 Stundenkilometern um den Erdball, erlebte seine Erdumrundungen Nummer vier bis 139. Dabei waren sechs andere Astronauten, die den greisen Senator an Kabel und Sensoren anschlossen, seinen Herzschlag, Puls und die Muskeln überwachten. Glenn, der Kampfpilot und Volksheld von einst, war sich seiner untergeordneten Rolle im All bewusst: "Ich bin bloß der Versuchsaffe", sagte er vor dem Flug.

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Author: Tyson Zemlak

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